Tradition (3/2017)

Tradition

Knop, Julia

Ohne Überlieferung gäbe es weder Christen noch ein Christentum. Der Christ lebt vom Weiterhören und Weitersagen des Wortes, mit dem Gott den ersten Tag in diese Welt gesetzt (Gen 1), mit dem Er sich in die Geschichte dieser Welt hineingesagt und ausgesagt hat, durch das Er sich unter den Menschen hörbar und erzählbar gemacht hat. Das Christentum gründet in der Überlieferung des einen, ein für allemal von Gott in diese Welt gesagten Wortes, das Mensch wurde und sein Zelt unter den Menschen aufgeschlagen hat (Joh 1,1-14).

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Erinnern - Erzählen - Danken

Vorholt, Robert

Die Anamnese des Canon Romanus, die dem Einsetzungsbericht folgt, besticht durch ihre gediegene Erhabenheit. In deutscher Übersetzung lautet sie: «Darum, gütiger Vater, feiern wir, deine Diener und dein heiliges Volk, das Gedächtnis deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus. Wir verkünden sein heilbringendes Leiden, seine Auferstehung von den Toten und seine glorreiche Himmelfahrt. So bringen wir aus den Gaben, die du uns geschenkt hast, dir, dem erhabenen Gott, die reine, heilige und makellose Opfergabe dar: das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heiles». Das eucharistische Gedenken der Kirche begleitet sie auf ihrem Weg durch die Zeit.

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Zwischen Archiv und Lebensprozess

Körner, Bernhard

Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen? Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe... (1 Kor 15,1-3) In diesen wenigen Zeilen des Apostels Paulus zeichnet sich ab, was für das Christentum grundlegend ist: Es verdankt sich einem Ereigniszusammenhang, der als Offenbarung Gottes und Ursprung des Glaubens verstanden wird - und der Weitergabe dieser Offenbarung in der Zeit von Generation zu Generation.

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Die Tradition: Wissen Christi im Lehren der Kirche

Henrici, Peter

«Traditionell» meint im Alltagsverständnis das Gegenteil von «neu». Man bekämpft Neuerungen durch Berufung auf das Traditionelle; man entwertet Traditionelles durch dem Hinweis auf etwas Neues. Ganz anders im kirchlichen Sprachgebrauch. Da werden die vielfachen Neuerungen, die die Kirchen- und Dogmengeschichte mit sich gebracht hat, durch den Hinweis auf die Tradition beglaubigt. Die Tradition soll etwas, das sich nicht aus dem Wortlaut der Schrift ergibt, als ebenso glaubwürdig wie die Schrift, geradezu als schriftgemäß erweisen. Die beiden von den Piuspäpsten verkündeten Dogmen, die Unbefleckte Empfängnis Marias und ihre leibliche Aufnahme in den Himmel, und auch die vom ersten Vatikanum verkündete Unfehlbarkeit des Papstes waren in der Schrift so nicht zu finden.

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Hermeneutik der Reform - Reform der Hermeneutik

Knop, Julia

Das nachsynodale apostolische Schreiben Amoris laetitia, das Papst Franziskus im Frühjahr 2016 als Abschluss eines zweijährigen synodalen Prozesses publizierte,1 traf in Kirche und Gesellschaft auf ungewöhnlich breite Zustimmung. Viele Kommentatoren äußerten Erleichterung: Kirche und Gesellschaft, Lehre und Leben, Tradition und Gegenwart finden zueinander. Jahrzehntelange Blockaden lösen sich. Freude und Leid, Glück und Sorge von Partnerschaft und Familie finden kirchliche Resonanz. Auch wenn nicht jeder alle Wünsche erfüllt sah, fiel die mediale Bilanz einhellig aus: Die Richtung stimmt. Es geht vorwärts.

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Vertrauensgewissheit

Michael, Böhnke

Phänomenologisch lässt sich Tradition als Antwort auf den Anspruch des Ursprungs beschreiben. Prozessual stellt sich in der Ursprünglichkeit der Antwort der Anspruch des Ursprungs dar. Ich werde mich in diesem Aufsatz der Tradition als Prozess, genauer als «konkreativem» (H. Rombach) Vorgang, widmen. Dazu will ich mich aus phänomenologischer und - theologisch gewendet - aus pneumatologischer Perspektive mit vier Aussagen befassen, die den Tradierungsprozess und den Vollzugssinn der Tradition bestimmen. Die erste Aussage besteht in einem klassischen Zitat, das ich der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, Lumen gentium entnommen habe.

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Josefs Mumie, Josias' Buch

Bodenheimer, Alfred

Begeben wir uns ins Innere des biblischen Diskurses, so fällt uns an einigen Stellen auf, dass sich Ankündigungen der Verwirklichung göttlicher Ansagen über mehrere Generationen vom Augenblick der Ankündigung her erstrecken - die Welt, in der sich die Voraussage erfüllen wird, ist eine ganz andere als diejenige, in der sie ausgesprochen wurde. Der Empfänger der Ankündigung wird somit nicht mehr derjenige sein, an dem oder auch nur zu dessen Lebzeiten sie sich vollzieht, und die Generation des Vollzugs wird ihre Situation kaum mehr mit jener der Ankündigung in eine konsekutive Verbindung zu bringen imstande sein.

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«Ich bin ein Subjekt der Überlieferung, und außerhalb ihrer kann ich nicht existieren»

Schwab, Hans-Rüdiger

Kreatives Arbeiten vollzieht sich im Spannungsfeld von Tradition und Neuschöpfung. Kein noch so radikaler Willensakt hin zum Noch-nie-Dagewesenen vermag dies außer Kraft zu setzen. Stets bleibt der Künstler auch Anknüpfer und Bewahrer, allemal steht er im Verhältnis zu einer Überlieferung. Umgekehrt ist jeder Neuheit die Latenz zur eigenen Traditionswerdung eingeschrieben. Tatsächlich veralten selbst ästhetische Revolutionen in immer kürzeren Abständen, wo sie nicht gar zum juste milieu gerinnen.

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Die Rückkehr zur Realität

Hoff, Johannes

Nach Meinung zeitkritischer Kommentatoren leben wir in einem 'postfaktischen Zeitalter'. Je mehr der Zugang zu Informationen wächst, desto schwieriger wird es, ihre Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen. Die Gegenreaktion derer, die sich in ihren Entscheidungen auf Expertenmeinungen verlassen, ist nur ein weiteres Symptom dieser Krise: Man traut sich nicht mehr zu, divergierende Situationsanalysen in eigener Verantwortung auszuwerten, sondern präsentiert politische Entscheidungen als alternativlos. Wer die Unausweichlichkeit einer politischen Entscheidung nicht sehe, verleugne die 'Fakten'.

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Gedanken zu Zeit und Glück

Splett, Jörg

Das Glück? Es vergeht - Ilse Aichinger hat einmal erzählt, dass sie als Schülerin ein Buch über die Vorsilbe 'ver-' gekauft habe, seit jeher fasziniert vom Vergehen. Tatsächlich scheinen die meisten zu denken, dass die 'Zeit' vergeht. Um indes zu vergehen, muss sie vorher auf uns zugekommen sein. Übersehen oder vergessen wir das, weil es unauffällig geschieht?

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«Da die Christbäume in Flammen aufgingen»

Görner, Rüdiger

Von einer namenlosen japanischen Dichterin ist überliefert, dass sie sich, um die nötige Weihe für ein weiteres Werk zu empfangen, in einen Tempel einschließen ließ. Durch einen Fensterschlitz hatte man ihr jedoch den Schlüssel zugesteckt, als Versuchung. Sie aber blieb standhaft und begann denn auch nachts in dem einsamen Tempelraum, auf dem Deckel eines Gebetbuches, die Niederschrift ihrer dichterischen Eingebungen. Der inzwischen sträflich unterschätzte Dichter Max Dauthendey überliefert diese Episode zu Beginn seiner Aufzeichnungen Gedankengut aus meinen Wanderjahren (1913), wobei er einräumt, dass sich heute zwar kein Dichter etwa in eine Sakristei zurückziehe, um sich auf sein neues Werk einzustimmen1; doch gehe es auch weiterhin nicht ohne solche Einstimmung, woher sie auch komme.

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