Aktuelle Ausgabe

Schuld und Vergebung

Ausgabe: 1/2018
47. Jahrgang
 

Schuld und Vergebung (1/2018)

Schuld und Vergebung

Tück, Jan-Heiner

Wenn man Kinder, die etwas angestellt haben, zufällig ertappt, kann es vorkommen, dass sie gleich ausrufen: «Ich bin's nicht gewesen, der da war's.» Offensichtlich bedarf es keiner langen Einübung, um jene Kunst zu erlernen, die wir alle mehr oder weniger meisterhaft beherrschen: die Kunst, es nicht gewesen zu sein. Oft sind wir es gewesen, wollen es aber nicht wahrhaben. Es müssen schon die anderen gewesen sein, die uns dazu gebracht haben, etwas zu tun, was wir gar nicht tun wollten - oder doch? Was bietet sich mehr an, als in einem fast automatischen Reflex erst einmal die anderen zu bezichtigen, um selbst besser dazustehen? Strategien der Fremdbezichtigung anderer dienen fast immer der Selbstentlastung oder der Selbsterhöhung.

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«Du bist doch unser Vater! 'Unser Erlöser von jeher' ist dein Name»

Braulik, Georg

Vergebung erbittet man gewöhnlich für sich selbst oder gewährt sie einem schuldig Gewordenen. Kollektive Schuld aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zu einem Volk ist in modernen Demokratien juristisch irrelevant. Dennoch existieren wir als Person nur in Kommunikation mit anderen Menschen und in Schicksalsgemeinschaften. Wir sind in gesellschaftliche Unheilszusammenhänge verstrickt, in denen unsere freien Entscheidungen von der Schuld anderer mitbestimmt werden und uns zu Mittätern machen. Wir werden zum Beispiel in die Zerstörung natürlicher Lebensräume hineingeboren, die wir nicht verursacht haben, tragen aber die Umweltverschmutzung und den schleichenden Klimawandel mit, ja verstärken sie noch.

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Vergib uns unsere Schuld

Vorholt, Robert

Sowohl das Matthäus- als auch das Lukasevangelium erinnern das sogenannte «Herrengebet» (Mt 6, 9-13; Lk 11, 2-4). Es ist das Gebet Jesu, in dem er Gott als Vater bekennt und das er den Seinen empfiehlt auf ihrem Weg der Gottsuche. Mehr noch: Wer das Gebet Jesu nach- und mitspricht, darf sich hineingenommen wissen in das Geheimnis jener größeren Liebe, die aus Gott hervorgeht und von dort her jedem Menschen in unermesslicher Entschiedenheit zugesprochen ist. Die Heiligung des Namens Gottes und das Kommen seiner Basileia, nach Matthäus auch der Vollzug des Willens Gottes, sind die durchgängigen Themen der Verkündigung Jesu, die das Vaterunser in der Sprache des Gebetes vor Gott, den Vater, trägt.

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Sünde - Schuld - Vergebung

Stubenrauch, Bertram

Es bedarf keiner ausgeprägten Mühe um zu sehen, dass es im menschlichen Leben Versagen, Versäumnis und Schuld gibt. Aber nicht jede Fehlleistung belastet gleichermaßen, was sich schon am Sprachgebrauch zeigt: Wer um ein persönliches Versagen weiß, darf sich berechtigterweise fragen, ob der Grund dafür schlichtes Unvermögen war oder ein innerer oder äußerer Zwang. Versäumnisse können aus Nachlässigkeit entstehen, sei es aufgrund mangelnden Wissens oder mangelnder Aufmerksamkeit, oder einfach deshalb, weil man bequem und feige gewesen ist.

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Felix culpa?

Buschmeier, Matthias

Die Losung von der glücklichen Schuld weist im Hymnus Exsultet (4./5. Jh.), dem sie entstammt, auf die Überbietung Adams durch Christus als Erlöser hin. Adams Schuld findet in Christus nicht allein den Schuldner, der sie tilgt, sondern aus der Lösung dieser Schuld wird sich der Mensch erneuern. Die paradiesische Existenz braucht diesem in Christus erneuerten Menschen fortan kein schmerzliches Gegenbild seiner mit Schuld behafteten irdischen Existenz mehr sein. In diesem Sinne ist die Schuld glücklich, so zumindest die theologische Standardauslegung seit Augustinus und Thomas von Aquin: aus einem malum wird ein bonum.

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Forgive me

Bender, Hans

Herr Studienrat Runge sagte mit einschläfernder Stimme: «Forgive me» ist ein starker Ausdruck. Der Engländer gebraucht ihn eigentlich nur Gott gegenüber, im Gebet, in der höchsten Gefühlsaufwallung. Ihr werdet ihn selten hören, selten gebrauchen. Häufiger kommen vor «excuse me» und «sorry», ja, vor allem «sorry». «Sorry» könnt ihr bei jeder Entschuldigung anwenden. Wenn ihr an jemandem vorbeigehen wollt, wenn ihr jemandem auf den Fuß getreten seid, sagt «I'm sorry» ...

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Die Gabe des Erbarmens

Lustiger, Jean-Marie

Ich rede zu Ihnen von Paris aus, ohne Sie zu sehen, wie man jemand im Dunkel des Abends anspricht. Vielleicht werde ich Ihnen so Dinge zu sagen vermögen, die ich nicht zu sagen vermöchte, wenn ich Ihnen in die Augen sähe, Dinge, die Sie vielleicht nicht ertragen könnten, wenn Sie mir in die Augen blickten.

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Täter und Opfer Arm in Arm

Tück, Jan-Heiner

Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange wirft in seinen Novellen Grenzfragen auf, die die Gegenwart des Todes im Leben betreffen. Der Mensch ist das Tier, das um seinen Tod weiß, und dieses Wissen kann, wenn es nicht verdrängt oder betäubt wird, ein bedrohliches Hintergrundrauschen erzeugen. Das Bewusstsein, dass die kurze Episode, die wir unser Leben nennen, am Ende im Abgrund des Nichts versinken könnte, kann Verzweiflung hervorrufen, ja in den Wahnsinn treiben - die Einsicht, unter dem Neigungswinkel der Vergänglichkeit zu leben, kann aber auch das Bewusstsein für die Einmaligkeit und Kostbarkeit des menschlichen Daseins schärfen und zu einer Haltung der Dankbarkeit und Demut Anlass geben.

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Perspektiven - «Die Kunst kann Bilder erschaffen, die der Religion unerreichbar bleiben...»

Odo Marquard hat ihn emphatisch gewürdigt, Botho Strauß ihm eine dichte Aufzeichnung gewidmet. Seine Novellen, die das Verhängnis der Vergänglichkeit umkreisen und die heikle Frage nach der Versöhnung zwischen Tätern und Opfern aufwerfen, finden neuerdings vermehrt auch theologische Aufmerksamkeit. Der Berliner Schriftsteller Hartmut Lange (geb. 1937) - einst entschiedener Marxist, heute suchender Melancholiker - äußert sich im Gespräch mit dem Theologen Jan-Heiner Tück über das Transzendenzbegehren des Menschen und die Antwortpotentiale der Kunst.

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Die Versuchung

Söding, Thomas

Was ein Vater seinem Sohn zumutet, wenn er ihn liebt und sich von ihm geliebt weiß, erzählt das Evangelium. Paulus scheint an die dunkle Geschichte von Abraham und Isaak (Gen 22) zu denken, wenn er im Römerbrief schreibt: «Der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für alle hingegeben hat - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?» (Röm 8, 32). Die Evangelien rufen in Erinnerung, wie schwer Jesus dieser Weg gefallen ist - und wie sein Leiden für ihn zur Versuchung geworden ist, aus der Heilsgeschichte auszusteigen, um sein eigenes Leben zu retten.

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Sein des Guten, Nichtigkeit des Bösen

Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara

Begonnen sei mit einer Anekdote: Im Jahr 1994, als Josef Pieper seinen 90. Geburtstag feierte, fand in Münster ein großes Symposium statt, zu dem ich mit einigen Dresdner Studierenden fuhr, für die damals Westfalen noch unbekanntes Ausland war. Angekündigt war ein Vortrag Piepers selbst zur Liebe als einer Form der platonischen mania. Als der 90jährige den Saal betrat, gestützt auf den Arm von Freunden, und gebrechlich zum Katheder ging, sagte einer der Dresdner Studenten neben mir mit einem (verbotenen) Witz der alten DDR: «Das Politbüro wird hereingetragen.»

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Gott - Erde - Geist

Gassmann, Michael

Das alljährlich im Sommer stattfindende Grazer Klassik-Festival styriarte machte womöglich den Anfang: Im Jahr 2003 wagte Intendant Mathis Huber eine Ausgründung und nannte das Zweitfestival PSALM. Graz war in jenem Jahr Europäische Kulturhauptstadt, und Mathis Huber hatte entdeckt, dass mehrere Feste der abrahamitischen Religionen um Ostern 2003 herum zusammenfielen. «PSALM 2003 lud dazu ein, diese Feste mitzufeiern, sie in ihrem Glaubensgehalt, ihren faszinierenden Geschichten und ihren ganz eigenen Philosophien kennen zu lernen, v. a. aber durch ihre Musik sowie ihre nicht zuletzt auch kulinarische Genüsse bereithaltenden Traditionen.»

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