Homo viator (5/2018)
Tück, Jan-Heiner
Wir leben, ohne gefragt worden zu sein, ob wir leben wollen. Durch die Geburt werden wir ins Dasein geworfen, wir liegen, bevor wir gehen lernen und unsere Wege aufnehmen. Am Ende aber sterben wir, werden bei unserem Namen gerufen und sehr wohl befragt, wie wir gelebt, wie viel wir geliebt haben, was die Ernte unserer Lebenszeit ist. Das zumindest ist die Hoffnung des Glaubens. Das Interim zwischen Geburt und Tod aber ist die Frist, in der wir unseren Weg gehen. Wir sind Pilger, unterwegs auf den Straßen des Lebens, die Höhen und Tiefen, Gutes und Böses, beschwerliche Hindernisse, aber auch großartige Ausblicke kennen.
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Schwienhorst-Schönberger, Ludger
Zu den interessantesten Erscheinungen des zeitgenössischen spirituellen und religiösen Lebens gehört die Wiederentdeckung des Pilgerns. Galt vor einigen Jahrzehnten in den säkularisierten Lebenswelten Europas die Wallfahrt als Auslaufmodell, an deren Stelle das moderne Tourismuswesen trat, so erfreut sich seit einigen Jahren die Wiederentdeckung der spirituellen Dimension des Unterwegsseins wachsender Beliebtheit. Dabei dürften unterschiedliche Faktoren zusammenkommen. Die körperliche Bewegung, die damit einhergehenden Anstrengungen und Grenzerfahrungen sowie die dadurch ausgelösten geistigen Prozesse werden als eine Herausforderung erlebt, die über das tägliche Einerlei hinaus neue Lebensperspektiven eröffnen. Das Unterwegssein scheint zum Selbstverständnis des modernen, spirituell suchenden Menschen geworden zu sein. Die Kirche hat darauf reagiert. Viele Diözesen bilden Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Pilgerbegleitung aus.
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Tück, Jan-Heiner
Vom Mythos zum Logos - auf diese griffige Formel hat man lange Zeit die Kritik der Philosophen an der griechischen Mythologie gebracht.1 Schon Vorsokratiker wie Xenophanes haben an der moralischen Verwerflichkeit und den anthropomorphen Zügen der mythischen Göttergestalten Anstoß genommen, um einen philosophisch gereinigten Begriff des letzten Ursprungs, der arche, zu entwickeln. Auch Platon hat bekanntlich Dichter wie Hesiod und Homer aus seinem Idealstaat ausgeschlossen, weil die «Lügenmärchen», die sie ersannen, der Erziehung der Jugend abträglich seien.2
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Walter, Peter
Als ich vor genau fünfzig Jahren mit dem Theologiestudium begann, war die Metapher von der pilgernden Kirche bzw. vom pilgernden Volk Gottes gängige Münze. Allenthalben herrschte Aufbruchsstimmung, und so wurde dieses Bild auch verstanden. Aber was es darüber hinaus bedeutet, war wenig klar. Es wurde, wenn ich mich recht erinnere, weil man um den ekklesiologischen Gebrauch der Pilgermetaphorik in den Texten des 2. Vaticanums wusste, durchaus auch als modisch und schwammig kritisiert, und das Konzil gleich mit. Aus der Rückschau soll im Folgenden nach dem Ursprung und dem Gebrauch der Metapher in den Texten des letzten Konzils und nach ihrer Leistungsfähigkeit für heute gefragt werden.
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Zaborowski, Holger
Die Hoffnung ist - neben dem Glauben und der Liebe - eine der theologischen Tugenden, über die Paulus schrieb: «Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe» (1 Kor 13, 13). Es handelt sich also um eine Haltung, die nur unter der Voraussetzung oder Annahme, dass Gott existiert, recht verstanden und vollzogen werden kann. Als jenes existenzielle, das gesamte Leben betreffende und verwandelnde Vertrauen darauf, dass Gott es mit dem Menschen gut meint und dass er, auch wenn momentan Leid erfahren wird oder am Ende des Lebens der Tod steht, den Menschen zum verheißenen Heil führen werde, steht sie im Zentrum des christlichen Glaubens.
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Schneider, Michael
In der Heiligen Schrift ist immer wieder davon die Rede, dass und wie Gott seinen Willen kundtut und beruft. Solche Berufungsberichte können den Eindruck entstehen lassen, Gottes Ruf würde den Menschen allein von außen, gleichsam «vom Himmel herab» treffen. Die folgenden Überlegungen gehen von einer anderen Erfahrung aus, denn Gott beruft ebenso - sogar meistens - «von unten» her, nämlich durch die Ereignisse und Dinge eines Lebensweges. Darin zeigt sich ein spezifisches Verständnis von Berufung, nämlich dass der Mensch in der Gesamtheit seiner Bestimmungen als ein Ruf Gottes verstanden werden darf: Er bekommt nicht den Ruf Gottes, er ist Ruf Gottes!1
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Herzberg, Stephan
Christsein ist kein additivum: Man ist nicht Lehrer, Professor etc. und dann auch noch Christ, sondern man ist Lehrer, Professor etc. als Christ. Christsein ist forma, und zwar forma formarum: Christsein ist die Form meiner Seele, die in der Taufe mir unauslöschlich eingeprägt wurde. Anima est forma corporis - Christus est forma animae. Und weil die Seele Prinzip des Lebens ist, ist Christus damit die Form meines Lebens.
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Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara
«Herz ist Geist in der Nähe des Blutes.» Dieser mündliche Ausspruch Romano Guardinis1 fasst gedrängt und klar - wie so viele seiner Worte - eine im 20. Jahrhundert sonst nicht formulierte «Theologie des Herzens» zusammen. Deutlicher: «Herz ist nicht Ausdruck des Emotionalen im Widerspruch zum Logischen; nicht Gefühl im Widerspruch zum Intellekt; nicht Seele im Widerspruch zum Geist. Herz ist der vom Blut her heiß fühlend gewordene, aber zugleich in die Klarheit der Anschauung, in die Deutlichkeit der Gestalt, in die Präzision des Urteils aufsteigende Geist.»2
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Waanders, Stefan
Die europäische Geschichte kennt mehrere Versuche, diesen Erdteil von einem Zentrum her zu ordnen: Madrid (Philipp II.), Paris (Ludwig XIV., Napoleon), Berlin (Wilhelm II., Hitler). Diese Versuche aber riefen Widerstand wach und scheiterten; denn Europa ist ein Konzert mehrerer Stimmen und lässt sich nicht in einen Einheitsstaat hineinzwingen. Der verständliche Versuch, nach 1945 Europa von der Wirtschaft her zu ordnen, war eine Erneuerung, aber auch ein Versuch Europa von einem Prinzip her zu organisieren. Auch dieser Versuch hat in den vergangenen Jahren in eine Euro-, Wirtschafts- und Finanzkrise geführt. Das gehört zur europäischen Geschichte, es muss uns nicht überraschen. Im Gegenteil: dieses «Scheitern» könnte uns auf die Spur unserer Identität bringen und uns empfänglicher machen für den symphonischen Charakter unseres Erdteils: eine gut eingespielte Vielstimmigkeit.2
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Neuhaus, Gerd
In der ersten Ausgabe dieser Zeitschrift im Jahr 2017 hat Eckhard Nordhofen seine Auslegung der vierten Vater-unser-Bitte, der Brotbitte, entwickelt. Sie wendete sich gegen deren «Sattmacher-Lesart» und machte überzeugend deutlich, dass es hier um das «himmlische Brot» geht, dessen Verzehr uns zu Kindern Gottes macht, so dass der Geist Gottes die Möglichkeit gewinnt, zu unserem Geist zu werden. Im Anschluss daran habe ich in derselben Ausgabe dieser Zeitschrift kritisch-weiterführende Gedanken dazu entwickelt.
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