Aktuelle Ausgabe

Erlöse uns von dem Bösen

Ausgabe: 1/2020
49. Jahrgang
 

Erlöse uns von dem Bösen (1/2020)

Erlöse uns von dem Bösen

Söding, Thomas

Erlösung ist ein Schlüsselwort des Christentums - und zugleich ein Reizwort. Erlösung ist der Traum eines jeden Sklaven und einer jeden Sklavin: frei zu sein. Die Antike kennt wie die Moderne verschiedene Formen dieser Befreiung. Keine ist billig. Selbstbefreiung ist selten. Freiheit kostet einen Preis. Die Großzügigkeit anderer tut not, ihr Mitleid, ihre Solidarität; Freunde und Verwandte sind gefragt, Humanisten und Philanthropen.

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Was heißt: «Erlöse uns von dem Bösen»?

Lerch, Magnus

Texte, die allzu selbstverständlich sind, drohen zu schweigen. Sie sind so oft gesprochen und gehört worden, dass sie uns "nichts mehr sagen". Meist bemerken wir ihr existenzielles und soziokulturelles Leer-Laufen nicht einmal, es vollzieht sich schleichend. Historische Kritik bietet die Chance, diese Texte wieder zu "entfremden" - sie zu distanzieren von Assoziationen und Deutungsfolien, die historisch erst dominant geworden sind, aber weder alternativlos waren noch den Bedeutungsreichtum der Texte ganz ausschöpfen konnten. Die so entstehende Differenz zwischen ursprünglicher Bedeutung und späterer Interpretation eröffnet Freiräume, um die Texte in der Gegenwart wieder "zum Sprechen" zu bringen.

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Gott schafft Raum

Metzdorf, Justina

Die meisten Interpretationen des Vaterunsers aus der Zeit der Alten Kirche gehören in den Zusammenhang der Taufvorbereitung und sind damit Schriften, in denen es um eine Einführung in das Leben als Christ und um die grundlegende Erklärung der christlichen Glaubensinhalte geht. Dieser katechetische Hintergrund tritt auch in den patristischen Auslegungen zur letzten Vaterunser-Bitte, «Erlöse uns von dem Bösen!», zum Vorschein. Dabei steht die Frage im Hintergrund, wie sich das Leben als Christ in einer Welt meistern lässt, die sich von der Liebe und dem Willen Gottes abgewandt hat und davon nichts wissen will.

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Jenseits des «Menschlich, allzu Menschlichen»

Zaborowski, Holger

Leibniz hat in der Theodizee in einer berühmten Definition zwischen drei Arten des Bösen (mal ) unterschieden: «Man kann das Übel «, so argumentiert er, «metaphysisch, physisch und moralisch auffassen. Das metaphysische Übel besteht in der bloßen Unvollkommenheit, das physische Übel im Leiden und das moralische Übel in der Sünde.»1 Während das physische und das moralische Übel nicht notwendig seien, liege das metaphysische Übel im Wesen der Schöpfung und sei somit notwendig. Es sei nämlich der Mangel an Perfektion, der jedem geschaffenen Wesen zukomme. Gott habe, so folgert Leibniz, die beste aller möglichen Welten geschaffen und dabei auch das nicht notwendige Übel in der Natur und im Bereich des Moralischen zugelassen.

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Ein umstrittenes Element katholischer Taufliturgie

Kranemann, Benedikt

Der Exorzismus in der Taufliturgie hat eine lange Geschichte durchlaufen und existiert heute nur noch als Rest ursprünglich umfangreicherer katechumenaler Riten. Er ist längst nicht mehr unumstritten und wird oftmals wie ein Störfaktor insbesondere innerhalb der Taufe von Säuglingen betrachtet. In der nachkonziliaren Liturgiereform hatte man im Bereich exorzistischer Elemente, die zu einer «nicht mehr leserlichen Chiffre geworden» waren, bereits Streichungen vorgenommen, so bei der Exsufflation (Anhauchung des Täuflings).1 Auch reduzierte man die viele Exorzismen und veränderte bei dem, was blieb, die sprachliche Struktur. Vermeiden wollte man den Eindruck, «als habe der leibhaftige Teufel im Herzen des Ungetauften seinen Sitz aufgeschlagen».2

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Erlösung vom «malum» durch künstlerische Malitätsflorisierung

Kiesel, Helmuth

Seit Jesus das «Vaterunser» gestiftet hat, flehten und flehen Christenmenschen den «Vater» im Himmel an, sie von dem zu erlösen, was auf Deutsch nach Luthers Bibelübersetzung als «Übel» bezeichnet wurde, seit einiger Zeit aber das «Böse» heißt: «erlöse uns von dem Bösen» statt «von dem Übel». Ob diese Änderung eine zwingend notwendige Präzisierung und eine wirkliche Verbesserung darstellt, ist eine Frage, über die man immer wieder ins Grübeln geraten kann. Die zugrunde liegende griechische Formulierung «apo tou ponerou» lässt beide Übersetzungen zu, ebenso die lateinische Formulierung «a malo». Es ist immer beides gemeint: sowohl das «Böse» im ethischen und spirituellen Sinn als auch das «Übel» im lebensweltlichen Sinn, und dies, ausweislich der Wörterbücher, sogar in erster Linie. Der Katechismus von 1993 bestätigt dies mit seiner Exegese der siebten Bitte des «Vaterunser».

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«Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden»

Schlögel, Herbert

Man kann es nur mit Scham und Trauer feststellen, dass Antisemitismus und Judenfeindlichkeit aus unserem Kulturkreis keineswegs verbannt sind. Im Gegenteil: die Zahl der Angriffe auf jüdische Mitbürgerinnen und -bürger und rechtsextremistische Straftaten nehmen zu. Sich dagegen zu wenden und dagegen zu kämpfen, ist eine Herausforderung für alle, besonders auch für die Christen in Deutschland. Eine Form der Auseinandersetzung ist die detaillierte Erinnerung, die schmerzhaft ist. In diesem Zusammenhang ist die hier (wiedergelesene) Untersuchung zu nennen. Der vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal erschienene Band greift einen zentralen Aspekt der Judenverfolgung auf, indem er sich dem «Profil» der Täter widmet, die an der massenhaften Erschießung und Vernichtung von Juden beteiligt waren.

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Soll das Fest der Beschneidung Jesu wiederhergestellt werden?

Buckenmaier, Achim

Im Zuge der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der Titel «Beschneidung des Herrn» aus dem kirchlichen Namen des Neujahrstages gestrichen. Übrig blieb die Kennzeichnung als achter Tag (Oktav) nach Weihnachten und als Fest der Gottesmutter Maria. Allerdings war es nur eine teilweise Tilgung: Mit Lk 2, 16-21 als Tagesevangelium blieben am 1. Januar Beschneidung und Namensgebung Jesu weiterhin Thema des Festtages.

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Das unergründliche Geheimnis der Zeit

Schumacher, Ferdinand

Seit Juni 2018 ist das Kunstwerk Gerhard Richters mit dem Titel Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel in der Dominikanerkirche in Münster öffentlich zugängig. Nachdem Richters Pläne bekannt wurden, entzündete sich eine Debatte über das Verhältnis von Kunst und Religion. Für Irritationen sorgte eine Aussage des Künstlers, er freue sich, dass sich das Pendel dort bewege, wo früher der Altar stand. An anderer Stelle äußerste Richter sich differenzierter: «Die Kunst ist kein Religionsersatz, sondern Religion im Sinn des Wortes "Rückbindung", Bindung an das Nicht-Erkennbare, Übervernünftige, Überseiende».

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Weisheit des Glaubens

Witek, Stefan

Nach Emerich Coreth kommt Titus Flavius Clemens, der wahrscheinlich in Athen zwischen 140 und 150 geboren wurde, nicht weniger als das Verdienst zu, den eigentlichen Durchbruch christlichen Glaubens zu philosophischem Denken geleistet zu haben.1 Aus einer heidnischen Familie stammend, aber bald zum Christentum bekehrt, ließ Clemens sich nach ausgedehnten Reisen durch unterschiedliche Mittelmeerländer um 180 in Alexandrien als freier Lehrer nieder. Um 190 wurde er Leiter einer christlichen Glaubensschule, bis er wegen der Christenverfolgung im Jahr 202 Ägypten verließ, nach Caesarea in Kappadokien gelangte und um 215 starb.

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Dem Leiden der Menschen ein Gedächtnis geben

Tück, Jan-Heiner

Er war ein Meister der pointierten Rede. Seine Stichworte zur religiösen Signatur der Zeit haben die Debatten geprägt. Sein Wort von der «religionsfreundlichen Gottlosigkeit», von der «Gotteskrise», ist ebenso unvergessen wie seine Beobachtung, dass in den posttraditionalen Gesellschaften «Subjektmüdigkeit, Gedächtnisschwund und Sprachzerfall» um sich greifen. Die prekäre Situation der Kirche brachte er in das winterliche Bild, die Kirchen würden hierzulande wie entlaubte Bäume in der postmodernen Landschaft stehen. Mit den Anliegen des Kirchenvolksbegehrens zeigte er partielle Übereinstimmung, warnte aber vor der Gefahr einer ekklesiologischen Selbstbespiegelung und erinnerte die Akteure daran, dass die weitaus modernitätsverträglicheren evangelischen Kirchen von der schwelenden Krise nicht weniger betroffen seien.

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Marica Bodrozic

Kutzer, Mirja

Die Texte von Marica Bodrozic kann ich nicht lesen, ohne mich in Bewegung, auf Reisen zu fühlen. Das war zunächst ganz wörtlich so. Das Buch «Mein weißer Frieden» war die Lektüreempfehlung eines Freundes für den Urlaub in Kroatien. Die autobiographischen Erzählungen haben mich berührt durch ihre Blicke auf ein zauberschönes Land in einer Zerrissenheit, die weiter zurückreicht als die Wunden, die der Krieg geschlagen hat. Später habe ich Bodrozic als Lyrikerin wiedergefunden, und ich mag ihre poetologischen Betrachtungen zur Literatur, zum Schreiben. Wieder bin ich beim Lesen unterwegs. Es sind oft traumwandlerische, bizarre, unmögliche Wege, die sie in den Verdichtungen der kurzen Texte anbietet.

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