Ringen mit Gott (6/2022)

Editorial

Schwienhorst-Schönberger, Ludger

Ist Gott der Gegner oder der Partner, wenn Menschen mit ihm ringen? Der Psalter zeichnet eine Welt, in der die Mächte des Bösen den Beter verunsichern, angreifen und bisweilen sogar niederringen. Wenn es so etwas wie eine Grundüberzeugung des Beters in den Psalmen gibt, dann die, dass er den Mächten des Bösen ohne Gottes Hilfe schutzlos ausgeliefert ist: «O Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen!» (Ps 70,2). Zusammen mit Gott vermag der Mensch den Mächten des Bösen zu widerstehen. In diesem Sinne hat die bisweilen archaisch anmutende Bildwelt des Psalters nichts von ihrer theologischen Relevanz verloren: «Er [Gott] lehrte meine Hände zu kämpfen, meine Arme, den ehernen Bogen zu spannen» (Ps 18,35).

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Gott niemals loslassen

Metzdorf, Justina

«Vom Gebetskampf renkt man sich nicht die Hüfte aus.» Als Hermann Gunkel im Jahr 1901 seinen berühmten Kommentar zum Buch Genesis veröffentlichte, verlieh er mit dieser süffisanten Bemerkung, mit der er sich gegen die allegorischen Auslegungen der Erzählung vom Kampf Jakobs am Jabbok richtet, seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass «alle die 'geistigen' Wahrheiten (...) im Text keinen Anhalt» haben. Vielmehr bezeugten die geistlichen Auslegungen dieser Geschichte lediglich die bemerkenswerte «Kraft der Religion, sich Fremdartiges anzueignen, Uraltes in neuem Sinne umzubilden und Schlacken in Gold zu verwandeln»

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Mit Gott gegen Gott

Böhler, Dieter

«[M]ulti clamant ad Dominum pro diuitiis acquirendis damnisque deuitandis, pro suorum salute ... . Pro his atque huiusmodi rebus multi clamant ad Dominum; vix quisquam propter ipsum Dominum», «viele rufen zum Herrn um Reichtümer, die sie erlangen, wegen Schäden, die sie vermeiden wollen, um Wohlbefinden für ihre Leute ... . Für dies und derlei Dinge rufen viele zum Herrn, kaum jemand um des Herrn selbst willen», kommentiert Augustinus anerkennend zu Psalm 77, dessen Beter er bescheinigt, Gott nicht um «irgendetwas» anzurufen, sondern um Gottes selbst willen. Dem Beter dieses Psalms geht es um Gott. Zwar wird auch das drängende Gebet des Psalmisten durch eine konkrete Notlage veranlasst - es ist ein nationales Desaster - aber der Beter bittet an keiner Stelle um Behebung dieser Not, sondern ringt mit Gott um Gott, der ihm zum Problem geworden ist, um einen Gott, mit dem er nicht mehr zurechtkommt, den er einst zu kennen glaubte, der ihm jetzt aber ein Rätsel geworden ist, ein Rätsel, das ihn quält. Er kämpft mit dem Gott der biblischen Überlieferung gegen den von ihm aktuell erfahrenen Gott. Er ringt mit dem Gott, über den er endlos und fruchtlos nachgegrübelt hat, mithilfe des Gottes, den er ratlos anspricht.

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Ijobs Weg durch die dunkle Nacht

Schwienhorst-Schönberger, Ludger

Nicht selten wird uns das Schicksal Ijobs aus dem Alten Testament als ein Beispiel für ungerechtes und unverständliches Leid vor Augen geführt. Das Problem der Theodizee, die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leids in der Welt, so wird gewöhnlich gesagt, bleibe auch im Buch Ijob ungelöst. Gegenüber diesen und ähnlichen Deutungen soll im Folgenden gezeigt werden, dass der Weg, den Ijob geführt wird und den er geht, nicht in der Ausweglosigkeit endet. Am Ende präsentiert uns das Buch eine Lösung. Offen bleibt die Frage, ob wir in der Lage sind, diese Lösung anzunehmen. Dazu ist es jedoch zunächst einmal erforderlich, sie zu verstehen.

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«Dein Wille soll stärker sein»

Schlögl, Manuel

Von Anfang an hat das Gebet, das Jesus vor seiner Gefangennahme im Garten Getsemani gesprochen hat, die Menschen bewegt. Schon Markus, Matthäus und Lukas gestalten diese Szene mit je eigenen Akzenten, auch Johannes und der Hebräerbrief wissen davon. Zahllose theologische Abhandlungen und fromme Andachten, aber auch Zeugnisse der bildenden Kunst versuchen bis heute, sich in das Geheimnis jenes Schicksalsmoments im Leben Jesu einzufühlen, in dem er Leiden und Tod auf sich zukommen sah, seine Angst und seine Zweifel zur Sprache brachte, sich aber schließlich vertrauensvoll in die Hände des Vaters gab und so innerlich bereits vorwegnahm, was sich tags darauf am Kreuz ereignen sollte.

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«In einer dunklen Nacht»

Körner, Reinhard

Hat Johannes vom Kreuz mit Gott gerungen? Das anzunehmen, liegt nahe - ist doch der Name dieses spanischen Mystikers und Kirchenlehrers der Mystik (1542-1591) eng mit dem Begriff «dunkle Nacht» verbunden, einem Wort, das gemeinhin als Bild für die leidvollen Erfahrungen im Glaubensleben verstanden wird. In seinen Schriften ist jedoch von einem Ringen um Gott nirgends die Rede, geschweige denn von einem Ringen mit Gott. Und aus seiner Biografie ist zwar bekannt, dass er, wie jeder gottgläubige Mensch, mit mancherlei Anfechtungen zu kämpfen hatte, dass er während seines Studiums an der Universität Salamanca mit dem Gedanken rang, den Orden zu verlassen und zu den Kartäusern überzuwechseln, und vor allem: dass er eine monatelange Kerkerhaft im Kloster Toledo durchgestanden hat und ein Leben lang mit Anfeindungen, nicht zuletzt aus dem eigenen Orden, fertig werden musste. Aber waren solche - gewiss leidvollen - Krisensituationen ein Ringen mit Gott? In dem Sinne jedenfalls nicht, dass er an Gott gezweifelt, mit Gott gehadert oder sich gegen Gott aufgelehnt hätte; zumindest ist uns davon nichts bekannt.

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Das Kreuz des Erlösers und die Theodizee

Menke, Karl-Heinz

Wenn man die Theodizee-Debatten der jüngeren Theologiegeschichte überblickt, stehen sich zwei Positionen gegenüber: (a) Theologen, die nicht nur vom Leiden des Erlösers, sondern ausdrücklich auch vom Leiden des trinitarischen Gottes sprechen und mit dieser Voraussetzung die Theodizeefrage beantworten. Und (b) Theologen, die zwischen den Möglichkeiten Jesu und den Möglichkeiten Gottes unterscheiden und unter dieser Voraussetzung den Schrei des Gekreuzigten nach seinem Gott als Theodizeefrage des unschuldig Leidenden erklären.

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Gott ungläubig glauben

Kutzer, Mirja

Über Glaubenszweifel zu reden ist ein Tabu. Unter Gläubigen wird er als etwas strikt Persönliches gehandelt, privat, sagbar nur in wenigen Räumen des Vertrauens. Das Nicht-Glauben-Können scheint gerade auszuschließen aus der Gruppe derjenigen, die sich unter dem Titel der Gläubigen zusammenfinden. Schon gar nicht wird zwischen Theologinnen und Theologen darüber geredet. Die Theologie ist dem Inhalt nach ein Ort des Affirmativen, der Gottesbejahung. Dies spiegelt sich der Form nach im Begriff, der auch dort noch eine Positivität zum Ausdruck bringt, wo er ex negativo - im Modus der Nicht-Zuschreibbarkeit verwendet wird. Von Gott als nicht in positiven Zuschreibungen Fassbarem zu reden, bedeutet eben doch, von Gott zu reden und diese Rede prinzipiell mit Sinn auszustatten. Der methodische Zweifel, der in der wissenschaftlichen Theologie selbstredend unabdingbar ist, hat am existentiellen Zweifel nur verschämten Anteil. Indem er ihn zum Teil des Systems macht, sucht er ihn gleichwohl zu neutralisieren.

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Die Fackel der Hoffnung hochhalten

Kasper, Walter

Durch seine Beiträge zur Ekklesiologie hat Walter Kasper die nachkonziliare Diskussion über die Reform der Kirche maßgeblich mitgeprägt. Zuletzt hat er seine Sicht in seinem Buch «Die Katholische Kirche. Wesen - Wirklichkeit - Sendung» (Freiburg i. Br. 2010; Neuauflage mit ausführlichem Nachwort 2022) umfassend dargelegt. Im Gespräch mit der Zeitschrift Communio äußert er sich angesichts des 60-Jahr-Jubiläums des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Errungenschaften, Fragen einer angemessenen Hermeneutik, aber auch über Problemüberhänge. Zugleich würdigt er die Bedeutung, welche das Pontifikat von Papst Franziskus für die künftige Rezeption des Konzils hat.

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«Lebe aus deiner geringsten Kraft»

Wachinger, Lorenz

Ein Dichter erleidet, meditiert und schreibt aus einer anderen Spiritualität, die nicht, wie in den Heiligenlegenden, für wenige ist - Konrad Weiß; er lebt und schreibt ein Zeugnis «seines in Gebet und Meditation sich vollziehenden, höchst lebendigen Ringens mit Gott und der Welt». Er ist hochangesehen bei Kennern, dem Literaturbetrieb eher wenig bekannt, für Nachdenkende und Suchende noch zu entdecken. Wer ist er und was ist der Sinn seiner oft dunklen Sprüche: «Lebe aus deiner geringsten Kraft»?

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Inkarnation für alle?

Nordhofen, Eckhard

Don Camillo hatte kein Offenbarungsproblem. Das Kruzifix vom Hauptaltar seiner Kirche teilte ihm unüberhörbar und zuverlässig mit, was er zu tun und zu lassen hatte. Darauf müsste eigentlich jeder Monotheist neidisch sein, denn so präzise Handlungsanweisungen hört er von seinem großen Gegenüber nicht. Die zentrale Offenbarung des biblischen Gottes war gewaltig, ging aber zunächst nicht ins Detail. Sie bestand in der puren Ausrufung seiner Existenz. Das war weiß Gott nicht wenig. Diese Wirklichkeit der Wirklichkeiten, der alles Sein sein Dasein verdanken sollte, steht seitdem wie ein Vorzeichen vor der Klammer, die die Welt bedeutet: Ein einziger Gott als das große Gegenüber! Israel hatte die wichtigste Schwelle unserer Religionsgeschichte überschritten.

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Roberta Dapunt: Synkope

Hake, Joachim

Es war eine Entdeckung, und sie liegt schon einige Jahre zurück. Die Dichterin Roberta Dapunt las in der Kulturbrauerei in Berlin und sprach zusammen mit Peter Waterhouse, einem ihrer Übersetzer, über ihre Gedichte aus dem Band dies mehr als ein paradies (Wien/Bozen 2016). Roberta Dapunt lebt auf einem Südtiroler Bauernhof in Abtei/Badia. Sie schreibt auf Italienisch und in ihrer Muttersprache Ladinisch. Ich war fasziniert. Von der Lyrikerin und von ihrem Übersetzer. Mittlerweile sind zwei weitere Bände in deutscher Übersetzung von ihr erschienen: die krankheit wunder (Bozen 2020) und Synkope (Bozen 2021). Für den Gedichtband Sincope (2018) erhielt sie den sehr renommierten Preis Premio Letterario Internazionale Viareggio Repaci per la Poesia. Ich habe weitergelesen und die Faszination hat sich erhalten.

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Gedächtnisschwäche, angestrengtes Horchen, Reste christlicher Religion

Dutt, Carsten

Namen ist eines der letzten Gedichte des als Nachkriegsklassiker der Naturlyrik (Botschaften des Regens, 1955) und des Hörspiels (Träume, 1951) kanonisierten Günter Eich, der von Kennern freilich noch weit mehr für die ästhetischen und intellektuellen Provokationen seines Spätwerks (Zu den Akten, 1964; Anlässe und Steingärten, 1966; Maulwürfe, 1968; Ein Tibeter in meinem Büro, 1970) geschätzt wird. Im Manuskript auf den 9. 12. 71 datiert, erschien es ein knappes Jahr später, nur wenige Wochen vor Eichs Tod am 20. Dezember 1972, zusammen mit neun weiteren Gedichten des Autors in dem schmalen Band (oder eher wohl Heft) Nach Seumes Papieren im Druck. Das Gedicht steht dort an sechster Stelle. Um es zu verstehen und in seine Gedanken eingehen zu lassen, muss man dies alles freilich gar nicht wissen, die in der besagten Sammlung mitenthaltenen Texte auch nicht als erklärenden Kontext kennen. Namen spricht eindrucksvoll genug aus sich selbst.

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